Donnerstag, 19. August 2010

Höhenrausch

Was treibt jemanden auf die Gipfel dieser Welt? Eine Frage, die letztlich nur der betreffende Bergsteiger selbst beantworten kann. Ego-Trip? Suche nach Freiheit? Erweiterung des Bewusstseins? Gründe für das menschliche Handeln zu suchen, gibt es immer reichlich. Nicht zuletzt begründet sich darauf der Beruf des Psychologen. Was dem interessieren mag, der es glaubt. Ich richte mich eher nach dem wahren Grund. Dem unermesslichen Abenteuer, dem jeder Gipfelsturm Antriebsfeder ist. Wollen wir dieses Feld ergründen, bedarf es eines Gangs in die Geschichte. In die Zeiten eines George Mallory, der sich 1924 auf den Weg gemacht hat, den Everest zu besteigen. Wo ist er gewesen? Seine Leiche wurde gefunden. Knapp über 8000 Meter. Was viele Fragen aufwirft. Ist er hier und dort gestorben? Oder von einem anderen Punkt aus abgestürzt? Vielleicht sogar vom Gipfel weg? Während ich diesen Artikel schreibe, habe ich nicht das Handbuch der Bergsteigerei dabei. Ich kann daher auch momentan keinerlei Zahlen und Daten korrekt angeben. Ich schreibe aus Gefühl. Was mich selten bis nie getrogen hat. Möge mich jener korrigieren, der sich am historischen Datum stört. Er mag es schwer genug haben. Denn wenn ich meine eigene Expedition ins Unerforschte starte, beginne ich mit der Erstbesteigung der Eiger Nordwand. Wo es Dramen gab, die selbst Shakespeare nicht größer in Szene setzen konnte. Berühmt die erste Seilschaft, die es schaffte. Mit dem Tausendsasser Heinrich Harrer, der mit seinen „7 Jahren in Tibet“ noch weltberühmt wurde. Nach dem Eiger hatten die Alpen keinen Anreiz mehr. Und man schielte nach mehr. Patagonien kam da vorerst gar nicht in Frage. Die Aufmerksamkeit ruhte wieder auf dem größten Gipfel der Welt. Mallory war nicht heimgekehrt. Aber hielt das andere auf? Nach dem fürchterlichen 2. Weltkrieg sah sich die deutsch-österreichische Bergsteigerei wieder imstande, neue Expeditionen in Angriff zu nehmen. Die Schuld am Krieg wurde ausgeblendet. Bonzen wie Luis Trenker glitten ohne größeren Schaden in die neue Ordnung hinweg. „Mitläufer“. Eine Schande. Aber bleiben wir beim Sport. 1953 stand die Bezwingung des Nanga Parbat an. Drei Jahre nach der legendären Erstürmung der Annapurna, dem ersten 8.000er, der Maurice Herzog sämtliche kleine Extremitäten gekostet hatte. Hermann Buhl begab sich Richtung Gipfel, verlor alles, was an Mensch und Material verfügbar war und erreichte nach eigenen Angaben den Gipfel. Im Abstieg überlebte er eine Nacht stehend auf 8000 Metern im Notbiwak. Buhls Erfolg am Nanga Parbat wurde angezweifelt. Weit über seinen Tod, den er nur kurz später am Broad Peak gefunden hatte, hinaus. Heute wissen wir es besser. Dank einer Expedition, die seinen Pickel am Gipfel wiederfand. Aber das ist nicht die Geschichte, die erzählt werden will. Die beginnt nämlich Ende der 70er mit einem bärtigen Mann, der alles in Frage stellt. Der sich mit seinem Kompagnion Peter Habeler auf den Weg macht, um Hillarys Rekord zu brechen. Ohne Sauerstoff. Es folgten alle übrigen 13 Achttausender. Mit oder ohne Begleitung. Und doch ist Messner für mich nur eine Fußnote der Geschichte. Weil es bei ihm, mit einer Ausnahme, zu glatt gelaufen ist. Nicht so bei Joe Simpson. Gemeinsam mit Simon Yates entflieht er der Diktatur des Felses, der sich mittlerweile Reinhold Messner bemächtigt hatte. Nichts war mehr gültig, außer Reinhold. Und dann stiegen diese beiden Burschen, leicht besoffen vom Vortag, und doch voll Tatendrang auf einen Berg, den nur einer wieder aufrecht verlassen sollte. Ich werde die Erzählung von Joe nicht wiederholen. Wer sie hören will, kauft sich sein immens spannendes Buch, dass auch verfilmt wurde. Nein, ich will mit Simpson auf etwas ansprechen, was uns alle betrifft. Wir dürfen nicht aufgeben. Egal, in welch misslicher Lage wir uns auch befinden. 1000 Geschichten der Bergsteigerei warten auf Euch. Von Krakauer, der 1996 Touristen auf den Everest bringen wollte und mit einem Haufen Leichen konfrontiert wurde, von den beiden Speedclimbern aus Bavaria, die Yosemite erobern wollen, von Gerlinde Kaltenbrunner, die auch den K2 schafft. Nur ohne Applaus. Der im übrigen dem wenigsten Akteur des Alpinismus zu teil wird. Was mitunter auch ein Vorteil sein kann. Denn nur allzuoft hat das Rampenlicht einen Menschen schon zerstört. Und seine Ideale gleich mit.

Samstag, 7. August 2010

Die amerikanische Schande

Die Vereinigten Staaten fühlen sich seit jeher als überlegen, als die moralische Instanz schlechthin. Und zweifellos haben wir alle diesem Land auch sehr viel zu verdanken. Doch befasst man sich mit der sehr kurzen Geschichte der USA, so wirft das einen sehr großen Schatten auf das Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Gerade was die Pionierzeit betrifft. Denn Amerika ist keineswegs auf rechtem Wege zu dem geworden, was es heute darstellt, für viele symbolisiert. Amerika ist groß geworden, indem man seine eigenen Ideale, seine eigenen Wertvorstellungen, seine eigene Verfassung mit Füßen getreten hat. Und leider auch heute noch immer tut. Amerika ist eine Geschichte von Rassismus, Mord und Barbarei. Denke man nur an die Eroberung des so genannten Wilden Westens. An die hunderttausenden von Chinesen, die man für die Erschließung des Landes angeworben hatte, schuften ließ und später enteignete, entrechtete und zu nicht geringer Zahl auch ermordete. Denke man an die Versklavung von Afrikanern und Menschen karibischer Herkunft. Und denke man an die Verdrängung und Drangsalierung der Chicanos. Aber die größte Schuld, die größte nationale Schande lud man sich mit der psychischen und großteils auch physischen Vernichtung der Ureinwohner auf. Anhand der Lakota, einem Stamm aus der Sprachfamilie der Sioux, möchte ich dies kurz darstellen. Zu Beginn der Invasion weißer Siedler in den amerikanischen Westen war das Gebilde der USA noch sehr instabil. Also setzte man aus Ermangelung der nötigen militärischen Macht vorerst auf Verträge. Natürlich in der Absicht, sie beim ehest möglichen Zeitpunkt wieder zu brechen. So garantierte man 1805 den Lakota die uneingeschränkte Souveränität auf ihrem Land. 1851 sicherte der Vertrag von Fort Laramie den Lakota das Gebiet der Black Hills zu, einer spirituell wichtigen Gegend für den Stamm. Leider durchschauten die Ureinwohner, für die ein gegebenes Wort heilig war, die wahren Absichten ihrer „Freunde“ da noch nicht. Die bauten auf dieses Regelwerk basierend ihre Stützpunkte immer weiter aus und stockten ihre Truppen kontinuierlich auf. Was folgte, wissen die Meisten. Übergriffe auf die immer weiter zurückgedrängten Ureinwohner, die Ausrottung von 30 Millionen Büffeln, einer Hauptlebensgrundlage der indianischen Völker, ständige Strafexpeditionen und Verfolgungen. Als die Entrechtung ihren Höhepunkt erreichte, als man damit begann, den Lakota ihre Identität zu rauben, ihre Sprache, ihren Glauben zu verbieten, ihnen das letzte Stück freie Land nahm und sie in Reservate, die nichts anderes als Gefängnisse waren, steckte, erhoben sich die Tapfersten unter der Führung von Sitting Bull und Crazy Horse und begannen einen aussichtslosen Kampf um ihr Volk. Nach einem letzten heroischen Sieg am Little Big Horn gegen den faschistischen General Custer kam es 1890 zum Massaker bei Wounded Knee, wo man die sich ergebenden Lakota dahinmetzelte. Viele der Taten der weißen Eroberer und der Ton der damaligen Zeit erinnern stark an das Dritte Reich. So forderten die Herausgeber der Bismarck Tribune 1883 die vollständige Auslöschung aller Indianer. Viel hätte dazu letztendlich auch nicht gefehlt. Die Situation hat sich auch 120 Jahre nach Wounded Knee kaum gebessert. Verheerende Lebensbedingungen in den noch immer bestehenden Reservaten, eine Lebenserwartung von 44 Jahren. Kindersterblichkeit wie zu Zeiten der ärgsten Hungersnöte in Afrika. Alkoholismus, Kriminalität und Massenarbeitslosigkeit. Dazu TBC, Kältetote in den Wintern, katastrophale Wohnverhältnisse. 97 % der rund 50.000 in Reservaten lebenden Lakota existieren unter der Armutsgrenze. Und was tut der Staat USA dagegen? Nichts. Die Black Hills wurden bis zum heutigen Tag nicht wieder zurückgegeben. Und das werden sie wohl auch nie mehr. Denn die Hills sind eine Cashmaschine, befindet sich dort das Mount Rushmore Monument mit den Köpfen von vier Präsidenten in den Fels geschlagen. Als Gipfel der Provokation. Eine jämmerliche Entschädigungssumme wurde geboten, die die Lakota aber ablehnten. Sie wollten ihre Seele nicht verkaufen. Bis zum heutigen Tag hat sich keine US-Regierung dazu durchgerungen, sich auch nur für die Verbrechen zu entschuldigen, die man den Ureinwohnern angetan hat. Ganz zu schweigen davon, sie endlich in die Gesellschaft aufzunehmen und als vollwertige Bürger zu behandeln. Viele Länder haben Probleme, sich mit ihrer unrühmlichen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Manche versuchen es zumindest. Wie etwa Australien bei den Aborigines oder Kanada, das den Inuit einen eigenen, selbst verwalteten Bundesstaat zubilligte. Und die große USA, die Weltpolizei, die Herren über die einzige Wahrheit? Bei denen reichte es nicht einmal für ein Sorry. So sage ich, sorry, aber die amerikanische Schande prangt weiter über dem Sternenbanner.